TaRttoo – Zwischen Kunst und Lifestyle

10/03/2020

Für unsere erste gemeinsame Ausstellung haben wir die Köpfe zusammengesteckt und sind zu Boden gegangen … alles für die Kunst, versteht sich.

„Ist das … Kunst?“

Diese vermeintlich simple Frage eignet sich bestens für ausufernde Endlos-Diskussionen ohne die eine richtige Antwort. Kaum ein Tattoo-Artist wird diese Frage in Hinblick auf Tattoos mit Nein beantworten. Liebhaber und Liebhaberinnen der Tattookunst müssen sich aber auch eingestehen, dass Tätowierungen längst zu einem Massenphänomen und Lifestyle-Faktor geworden sind.

Gefühlt jeder zweite Mensch auf der Straße trägt Farbe unter der Haut. Viele Motive sind ähnlich einzigartig und originell wie Europaletten-Möbel. Zugleich hat aber die Vielfalt an Stilen und Artists in den vergangenen Jahren enorm zugenommen – ​genauso wie die Qualität vieler Arbeiten. Und immer mehr Tattoo-Artists leben sich auch auf Leinwänden oder anderen Medien künstlerisch aus.

Wie also nehmen wir als Gesellschaft Tattookunst wahr? Welches künstlerische Selbstverständnis haben Tattoo-Artists? Sind Tattoos eine ernst zu nehmende Kunstgattung? Viele offene Fragen und ein Phänomen, das sich quer durch alle Gesellschaftsschichten zieht – ​gute Voraussetzungen, um sich künstlerisch damit auseinanderzusetzen.

So hat es begonnen, dass wir auf Einladung der Stadtgemeinde Feldbach eine Ausstellung rund um Tattookunst in der Kunsthalle Feldbach auf die Beine gestellt haben. Mit an Bord war der Feldbacher Tätowierer Adolf Puchleitner-Tuma (Schwarzbunt Tattoo).

Klar war für uns von Beginn an, dass es keine reine Werkschau fertiger Tattoos werden sollte. Wir haben also Ideen diskutiert, gemalt, gezeichnet, gesprayt, fotografiert – ​und natürlich tätowiert. Am Ende stand eine multimediale Ausstellung unter dem Titel „tarttoo – ​Tattoos zwischen Kunst und Lifestyle“. Einen Eindruck von den Resultaten und der Vernissage bekommt ihr auf den folgenden Seiten.

Roman Grabner (oben), Kurator am Universalmuseum Joanneum, beleuchtete bei der Vernissage das Verhältnis zwischen Tattoos und Kunst. Wir haben für Creations mit ihm darüber gesprochen:

Aus dem Blickwinkel von jemandem, der sich professionell mit Kunst beschäftigt: Sind Tätowierungen Kunst?

Die Frage was Kunst ist, ist immer schwierig zu beantworten. Spätestens seit Marcel Duchamp kann ja alles als Kunst gelten, wenn ich es als Kunst erkläre. Duchamp hat mehr oder weniger einen Flaschentrockner zum Kunstwerk erklärt.

Wenn ich eine Gruppe finde, die mit mir übereinstimmt, dass etwas Kunst ist, dann ist es Kunst. Ich denke, dass Tätowierungen sehr wohl als Kunst zu gelten haben. Es kommt aber immer darauf an, wie man den Kunstbegriff definiert.

Warum lassen sich heute so viele Menschen tätowieren, oder anders gesagt, Kunst auf die Haut bringen?

Ich bin mir nicht sicher, ob das das Begehren ist, Kunst nach außen zu tragen. Ich glaube, es ist ein generelles Phänomen, dass vieles, was einmal Subkultur oder Underground war, von der Mode oder dem Zeitgeist absorbiert wird. Das kennt man von den langen Haaren, von Lederjacken, gewissen Bärten oder gewissen T-Shirts. Designer greifen diese Dinge gerne auf und es wird irgendwann populär. Diese Entwicklung hat in gewisser Weise auch Tattoos erfasst. Nimmt man etwa das 19. und 20. Jahrhundert her, war es ja tatsächlich so, dass in erster Linie Matrosen, Leute, die im Gefängnis waren oder Biker sich tätowieren ließen. Das hat einen gewissen Reiz: den Hauch des Verbotenen, sich am Rande der Gesellschaft zu bewegen.

Haben Tätowierungen etwas von ihrem ursprünglichen Reiz verloren, nachdem sie im Mainstream angekommen sind?

Ich glaube, wir befinden uns in einer Zeit, in der jeder möglichst individuell sein will, keiner will mit der Masse schwimmen. Es wird einem von den Medien ja auch aufoktroyiert. Man muss sich selbst finden, jeder muss seinen eigenen Stil entwickeln. Wir kaufen Kleidung nur für den Moment und sie muss aussagekräftig sein. So verhält es sich gewissermaßen auch mit Tattoos. Sie sind ein Zeichen für Nonkonformismus, für Protest, für Widerstand, für etwas, das mich selbst auch auszeichnet. Nur schwimmen wir jetzt alle mehr oder weniger mit und es ist ein Zeitgeistphänomen. Also das Nonkonformistische ist eigentlich das Konformistische geworden. Das Widerständige ist mehr oder weniger der Zeitgeist.

Ich glaube, jeder von uns hätte gerne etwas Individuelles an sich, das er zum Ausdruck bringen möchte. Etwas, das nur mich auszeichnet, etwas womit ich Charakter kommuniziere. Und das betrifft Kleidung gleichermaßen wie Musik und eben auch die Zeichen auf der Haut.

Welche Rolle spielt das Internet im Zusammenhang mit Tattookunst?

Ich glaube, dass das Internet bei Bildern an sich – ​und dazu sind auch Tattoos zu zählen – ​eine tragende Rolle spielt. Bilder sind ein wesentlicher Faktor der Kommunikation geworden. Über WhatsApp oder Instagram schicken wir ja permanent Bilder hin und her.

Das Interessante ist die grenzenlose Verfügbarkeit von Bildern im Internet. Es durchmischen sich Bilder aus der Antike, aus der Renaissance, aus der Gegenwart, aus diversen Subkulturen, von unterschiedlichen Kontinenten und Kulturen und so weiter. Das findet alles auf einer Ebene statt, unabhängig von Epochen, es gibt keine Hierarchien mehr.

Diese Verfügbarkeit von Bildern aus allen Zeiten und Kulturen ist etwas ganz Faszinierendes. Das fließt sicher auch in die Tätowierungen ein. Es wird nicht mehr so ganz puristisch gedacht, Bilder und Stile werden aufgebrochen und gemixt.

Sind Sie persönlich tätowiert? Was ist Ihr Zugang zu Tattoos?

Ich wollte mich als Jugendlicher tätowieren lassen und hätte gerne eine Tattoo am Kopf gehabt. Ich nehme an, es wären Tribals geworden, die so von hinten nach vorne gewachsen wären. Damals hatte ich mich informiert und es hat geheißen, dass das in Österreich niemand machen würde. Und es wäre auch damit verbunden gewesen, dass mich meine Eltern aus der Wohnung geworfen hätten. Das wäre finanziell schwierig zu stemmen gewesen damals. Deshalb ist nichts daraus geworden. Und für mich war es ja eine Form von Subkultur und Identitätsstiftung. Das hat sich dann im Laufe der Zeit immer mehr aufgehoben und daher ist ein Tattoo für mich auch immer weniger wichtig geworden.